Landpflanzen benötigen eine Ansatzfläche für das Wachstum. Wasserpflanzen wie Algen können durch ihre Fähigkeit im zirkulierenden Volumen wachsen zu können ein um ein Vielfach höheres Wachstum erreichen.
Diese einfache geometrische Tatsache ist der Grund für eines der aktuell größten Potentiale bei der Erzeugung von Biomasse. Das Umdenken von Landpflanzen hin zu Wasserpflanzen eröffnet viele neue Möglichkeiten. Der Ursprung des Lebens liegt in den Weltmeeren, weshalb Wasserpflanzen evolutiv gesehen viel älter sind als Landpflanzen, mehr genetische „Lebenserfahrung“ haben und gut an das Energiesystem Sonne-Erde-Wasser angepasst sind. Die Evolution der Landpflanzen (Ackerpflanzen) wurde vor allem durch die Züchtungserfolge und den Dünger- und Pestizideinsatz in der Landwirtschaft vom Menschen beschleunigt.
Mein Geheimtipp, der eigentlich gar nicht mehr geheim ist, für die nächsten Jahre im Bereich der Energiequellen für Bioenergie sind eindeutig die Algen und Wasserpflanzen. Nicht das der Anbau von Algen mit dem Anbau von Ackerpflanzen direkt verglichen werden kann oder eine Rangliste aufgestellt werden müsste, so haben Algen bezogen auf die Wachstumsdynamik ein größeres Potential als Miscanthus, Sudangras oder die Zuckerrübe. In Bezug auf die Anbau- und Erntetechnik ist der Anbau von Ackerpflanzen deutlich weiter entwickelt. Außerdem ist die Landwirtschaft eine der wichtigsten Wirtschaftszweige weltweit. Biologische Wasserwirtschaft und konventionelle Landwirtschaft könnten sie somit gut ergänzen.
In Zeiten steigender Rohstoffpreise für Mais und Getreide sind Algen als schnellwachsende Biomasse ohne direkte Nutzenkonkurrenzen zu Nahrungsmittel wirtschaftlich interessant. Auch biotechnologisch eröffnet der Anbau in Wasserbecken oder frei beweglichen Reaktoren und in Kombination mit klugen Steuerungsmethoden wie Suntracking viele kreative Anbaumöglichkeiten. Wasserbecken sind gut zu steuern und vielleicht können sogar gezielt bestimmte Abfälle (als Fütterung) mit einer bestimmten Raumbelastung in ein solches Gewächsbecken gegeben werden. In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit der Modellierung einer Planktonbiozönose beschäftigt, die sich in einem Abwasser gebildet hat. Nun erkenne ich, dass die Techniken der Abwasseraufbereitung und des Algenanbaus viele verfahrenstechnische Schnittmengen haben. Außerdem benötigen Algen keine aufwendigen und bodenbelastenden Saat- oder Ernteverfahren, sondern vieles kann vollautomatisch passieren.
Neue Studienergebnisse des Hamburger Forschungskonsortiums TERM haben ergeben, dass sich aus einem Kilogramm getrockneter Algenmasse ca. 850 Liter (0,85 m3) Biogas gewinnen lassen. Die Wachstumsgeschwindigkeit von Algen ist außerdem 30x so hoch wie das Wachstum von Ackerpflanzen.
Folgende Institute und Unternehmen beschäftigen sich in Deutschland aktuell mit Forschungprojekten und Pilotanlagen zum Thema Algen (Mikroalgen):
– TERM Forschungsprojekt (beteiligt sind die TU Hamburg-Harburg, Universtät Hamburg, Eon Hanse, Hamburger Behörde für Stadtentwicklung, Hochschule für angewandte Wissenschaften)
– Bremer Jacobs-University
– Energiekonzern EON
– Uni Stuttgart
Anwendungsmöglichkeiten
Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfälltig und werden sich mit zunehmendem Entwicklungs Know How wahrscheinlich stark erhöhen. Die angewandte Algenwissenschaft ist in vielen Bereich noch relativ jung und abgesehen von der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie sind viele Bereiche noch in der Grundlagenforschung. Aber auch durch die sich verändernde Rohstofflage (Angebot und Nachfrage) und die natürlichen Eigenschaften der Wasserpflanzen rückt die Alge immer mehr in den Fokus von verschiedenen Branchen.
Um nur einige wichtige zu nennen:
– Biokraftstoffbranche, da die Zusammensetzung von Algen sowohl für die Herstellung von Bioethanol, als auch Biodiesel geeignet ist
– Öle
– stoffliche Produktion (z.B. Biokunststoffe), dazu jedoch in einem späteren Artikel mehr
– auch weniger betriebswirtschaftliche und mehr volkswirtschaftliche Projekte wie der Klimaschutz können durch gezielte Projekte stark von Algen und Wasserpflanzen profitieren (aber auch dazu mehr in einem späteren Artikel)
Umweltschutz
Zum Abschluss noch ein paar Gedanken zum Thema Umweltschutz. „Biomasse“ kann man als relativ technischen Term verstehen, was dazu verleitet, Sie wie eine bloße Ressource zu betrachten. Bei allen wirtschaftlichen Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten die sich für viele Menschen daraus ergeben können, sollte man sich aber trotzdem regelmäßig ins Bewusstsein rufen, dass es letztlich um Lebewesen geht und man sie nicht einseitig großindustriell anbauen sollte, ohne etwas für den Artenschutz zu tun. Ansonsten haben wir irgendwann statt riesiger Monokulturen in der Landwirtschaft, eine Monokultur in der biologischen Wasserwirtschaft. Der Beitrag zum Klimaschutz ist bei den Ansätzen der Algenwirtschaft gut vertreten, um die Ökosysteme aber auch mittelfristig stabil zu halten, sollte auch die Artenvielfalt frühzeitig bedacht werden. Und auch die natürlichen Ökosysteme, welche große Algenschwämme aufweisen und die gut zu erreichen sind (z.B. Küstenstreifen, Buchten) sollten rechtzeitig vor einer übertriebenen Goldgräberstimmung geschützt werden.
Hallo Herr Kirchner.
Mit großem Interesse lese ich Ihre Beiträge zum Thema Bioenergie / Treibstoffe, ins Besondere zum Thema Algen. Neben mir sitzt eine Spezialistin im Bereich Gewinnung von Biodiesel. Sie ist tätig im Forschungsbereich Biodiesel an der Uni Barcelona und Campinas / Sao Paulo. Ich suche interessante Kontakte und evt. Anschluss an Projekte in diesem Bereich. Ich schreibe diese Anfrage in Auftrag, da sie „bisher“ nur portugiesisch / spanisch / englisch sprachig ist. Vielleicht gibt es z.B. weitere Infos zum TERM Forschungsprojekt, da mein Wohnsitz Hamburg ist? Ich schicke hier einen aktuellen Link zu einer ihrer aktuellen Publikationen:
Biodiesel production using supercritical methanol/carbon dioxide mixtures in a continuous reactor
Mit freundlichem Gruß – und danke im Voraus.
Gunnar Kornagel